Älter werden im Rhythmus der Jahreszeiten

Das Dienstbotenheim Oeschberg in Koppigen ist ein besonderes Altersheim, denn auch ein  Bauernhof gehört dazu. Die pensionierten Frauen und Männer können in der Landwirtschaft mitarbeiten. Auch in der Küche oder im Waschhaus ist ihre Hilfe gern gesehen.


Bohnen aus dem Garten. Das Dienstheim Oeschberg bietet mit seiner Selbstversorgung die Möglichkeit, im Garten, in der Beerenanlage oder bei den Kühen und Schweinen mitzuhelfen.

Der Mond steht noch am Himmel. Der Morgen ist kühl, es ist Oktober, 10 Grad Celsius. Noch schläft das Dorf Koppigen, 700 Meter über dem Meer, 500 Einwohner.  Im Dienstbotenheim Oeschberg beginnt der Tag, wie er seit 1910, seit 107 Jahren beginnt.

Herr Eggimann* und Herr Gerber steigen die Treppe im Dienstbotenheim hinunter, öffnen die Türe zum Garderobenraum, schlüpfen in ihre Stiefel und ziehen Jacken an. Die Männer schweigen, es gibt nichts zu reden, denn sie sind sich das Reden so früh am Morgen nicht gewohnt. Aber das Aufstehen um viertel vor fünf sind sie sich gewohnt, sie kannten ihr Leben lang nichts anderes. Im Dienstbotenheim wechseln sich die Männer mit der Stallarbeit ab. Morgen werden Herr Eggimann und Herr Gerber bis um halb sieben schlafen. Die Männer treten in den dunklen Morgen hinaus, schreiten über den Hofplatz und betreten den Stall. Die  Kühe Ursina und Vanille stehen vor der leeren Futterkrippe. Und warten. Auch die fünf Rinder und die zwei Kälber warten. Sie schauen die Männer mit ihren dichtbewimperten, dunklen Augen an und blasen ihren warmen Atem durch die Nüstern. Mit der Mistgabel in der Hand beginnt Herr Eggimann, den Stall auszumisten. Bedächtig und sorgfältig verrichtet er die Arbeit,  tätschelt den Kühen und Rindern die Flanken, wenn sie mit den Hinterbeinen zur Seite treten müssen. Als Herr Gerber Gras in die Futterkrippen wirft, beginnen die Kühe zu fressen.

Aus der Kammer neben dem Stall holt Herr Eggimann die Melkmaschine. Es ist halb sechs, als Meinrad Ackermann den Stall betritt und die Männer mit einem freundlichen «Guten Morgen» begrüsst. Meinrad Ackermann ist gelernter Bauer und seit fünf Jahren für den landwirtschaftlichen Betrieb des Dienstbotenheims verantwortlich. Er bindet sich einen Melkschemel um, setzt sich zwischen die beiden Kühe und massiert mit einem Büschel Holzwolle das Euter von Ursina, um so den Milchfluss anzuregen. Dann stülpt er die Saugstutzen der Melkmaschine über die Zitzen. Ein lautes Surren vertreibt die Stille im Stall. Der Tag ist erwacht, der Morgen ist angebrochen. Mit der Bürste in der Hand beginnt Herr Gerber in rhythmischen, kreisenden Bewegungen das Fell von Wanda, dem Angus-Rind zu bürsten. Einen Teil der Milch, die in die Melkmaschine schwappt, giesst Herr Eggimann in einen Eimer, trägt diesen zu Zita, dem einen Kälbchen, das gierig schlürft. Um viertel nach sechs verstummt die Melkmaschine. Siebzig Liter Milch geben die Kühe Ursina und Vanille jeden Tag. Die Hälfte ist für den Hausgebrauch, der Rest kommt in die Käserei. In der Kammer neben dem Stall reinigt Meinrad Ackermann mit heissem Wasser die Melkmaschine. Auf dem Hofplatz bimmeln die Kuhglocken. Vanille und Ursina, Rinder und Kälbchen trotten auf die Weide, sanft getrieben von Herrn Eggimann und Herrn Gerber. 

Der Duft von Rösti und Kaffee zieht durchs Haus

In der Küche des Dienstbotenheims brutzelt die Rösti in der Pfanne. Der frisch gebrühte Kaffee verströmt seinen Duft. Mit einem Auge wacht Frau Lauber  über die brutzelnde Rösti, mit dem anderen über die Milch, die in einem hohen Topf aufgekocht wird. Frau Jenner schneidet dunkles Brot in Scheiben, füllt die Brotkörbe und stellt sie auf die Tische, neben die selbstgekochte Beerenkonfitüre und die Butter. 

Auch im ersten Stock ist der neue Tag erwacht. Mit steifen Bewegungen ziehen die Männer und Frauen ihre Kleider an, schlüpfen in ihre Hausschuhe, öffnen die Zimmertüren und begrüssen sich mit einem «Guten Morgen». Im Esszimmer werden Stühle zurechtgerückt, die Bewohner des Dienstbotenheims setzen sich an ihre gewohnten Plätze. Aber nicht alle mögen schon so früh aufstehen. Einige nehmen es ruhiger und kommen erst um halb oder viertel vor acht zum Frühstück. Lange Zeit wurden alle, die so spät frühstückten, schief angeguckt. Es brauchte ziemlich viel Überzeugungsarbeit von Pia Zwahlen, der Heimleiterin, damit die Frühaufsteher nicht mehr über die Spätaufsteher lästerten. Pünktlich um sieben Uhr wird die Platte mit der goldbraunen Rösti auf den Tisch gestellt. Heisse Milch und Kaffee werden in Tassen eingeschenkt. In einträchtigem Schweigen wird die Rösti gegessen und der Kaffee getrunken. Es ist viertel nach sieben und die Ersten sind mit dem Frühstück fertig. Den einen pressiert es, denn sie sind sich nicht gewohnt, lange beim Essen zu sitzen. Sie wollen zurück zur Arbeit. Etwas anderes kennen sie nicht, etwas anderes wollen sie nicht. Aber nicht mehr alle Frauen und Männer hier mögen mehr arbeiten. Das Alter hat ihnen die Kräfte geraubt. Es gab eine Zeit, da sagten jene, die noch arbeiten mochten, über jene, die nicht mehr arbeiten konnten, sie seien faul. Auch in diesem Fall brauchte es viel Überzeugungsarbeit von Pia Zwahlen, damit das dumme Geschwätz verstummte.

Hühner gackern und Schweine grunzen

Eine Handvoll Männer tritt auf den Hofplatz. Herr Büetiger geht zum Hühnerstall, so wie er es jeden Morgen seit vielen Jahren macht. Die Hühner, vierzig weisse und braune, sitzen auf den Stangen, sie gackern und ruckeln mit dem Kopf. Eins nach dem anderen trippeln sie in den umzäunten Hof und beginnen nach Futter zu scharren. In einem Eimer trägt Herr Büetiger die Körner, schüttet sie in grosse, blecherne Futterschalen. Im Hühnerstall sucht er nach den Eiern. Heute findet er 30 Stück. Danach streut er frisches Stroh aus und bringt die Eier in die Küche. 

Im Stall nebenan grunzen laut vier Schweine und warten ungeduldig auf ihr Futter. Als Herr Raclet  die Türe zum Aussengehege öffnet, drängeln die rosigen und gut gemästeten Tiere in den Morgen hinaus. Aus einem Eimer kippt Herr Raclet Küchenabfälle in die Tröge. Er streut Futtermehl dazu und giesst Wasser darüber. Danach mistet er die Boxen aus, streut frisches Stroh, treibt die Schweine wieder in den Stall. Sie schmatzen und grunzen und der «Säulihirt», so nennt sich Herr Raclet, lächelt zufrieden. In jungen Jahren hat er als Koch auf einem Schiff gearbeitet und ist um die halbe Welt gesegelt. Später war er jahrzehntelang in einer Schweinemästerei tätig. Er hat sichtlich Freude an den Tieren und kümmert sich gerne um sie. So hat er immer ein bisschen was zu tun.

In der Scheune kreischt die Kreissäge. Breitbeinig steht Herr Meier an der Maschine und sägt Feuerholz, das verkauft wird. Der Duft von Harz und Holzspänen liegt in der Luft. Drei Meter neben der Säge steht Herr Kohler vor einem Spaltstock. Daneben liegt ein hoher Haufen Holzscheiter. Mit schon etwas steifem Rücken bückt sich Herr Kohler nach einem Scheit, stellt es mit der linken Hand auf den Spaltblock, ein Hieb mit dem Beil, und eine fingerdicke Spriesse fällt auf den Boden. Diese Spriessen werden als Anfeuerholz für den Kamin verkauft.

Im Winter an der Wärme sitzen

Es ist Februar geworden. Nass und kalt liegt der Morgen über dem Dienstbotenheim. Eine Katze läuft mit erhobenem Schwanz über den Hofplatz. Zwei Rinder stehen vor dem Stall. Die Hühner scharren in ihrem Gehege nach Futter. Der Briefträger bringt die Post. In der Küche wird das Mittagessen vorbereitet, Suppe, Älplermakkaroni, Salat und Vanilleköpfli. Im Stationszimmer werden Blutdruck gemessen und Medikamente ausgegeben. Eine Angestellte reinigt das Treppenhaus. Es herrscht emsige Geschäftigkeit. Stimmen surren durch das Haus. Treppauf und treppab steigen die Bewohner, mit zögernden Schritten, sich am Geländer festhaltend. Auf einem Kanapee im schmalen Korridor des ersten Stocks sitzt Herr Graber, jede Hand auf einen Spazierstock gestützt. Er schaut dem Treiben zu und lässt den Herrgott einen guten Mann sein. Herr Graber hat Jahrgang 1922, er ist 94 Jahre alt und lebt seit zweieinhalb Jahren im Dienstbotenheim. Er ist ein schmächtiges Männlein mit gekrümmtem Rücken, der laut «Hä?» ruft, wenn er etwas nicht mehr hören kann, der mit wachem Gesichtsausdruck in die Welt blickt, obwohl er nur noch schlecht sieht. Tief gebeugt und auf die zwei Stöcke gestützt geht er ins Zimmer und bietet der Journalistin einen Stuhl an. Er ist gerne bereit, aus seinem Leben zu berichten. Geboren und aufgewachsen ist Herr Graber in Rüegsbach im Emmental, zusammen mit zwei Brüdern, die aber schon vor langer Zeit gestorben sind. Seine Eltern bewirtschafteten ein «Heimetli», einen kleinen Bauernhof. Nach der Schule trat er eine Stelle bei einem Bauern im Welschland an. Der Lohn war für damalige Verhältnisse angemessen. Im Sommer verdiente er 30 Franken pro Monat, im Winter, wenn es auf den Feldern nichts zu tun gab, waren es 20 Franken. Früh, um vier Uhr, begann im Sommer das Tagwerk. Da mussten die Wiesen gemäht werden, mit der Sense, von Hand. Die Kühe warteten im Stall darauf, dass sie gemolken wurden. Damals, im Jahr 1939, gab es noch keine Melkmaschinen, jede Kuh wurde von Hand gemolken. Nach dem Frühstück musste das gemähte Gras auseinandergezettelt werden, damit es in der Sonne trocknen konnte. Auf den Feldern wurde noch mit Pferdefuhrwerken gearbeitet. Im Winter wurden die Bäume im Wald mit der Handsäge gefällt. Nach seiner Zeit im Welschland machte Herr Graber eine Lehre als Zimmermann. Auch am Samstagvormittag flogen die Hobelspäne. Am Nachmittag musste der Lehrbub dann die Werkstatt putzen.

Jodellieder hören und spazieren gehen

Die Ereignisse seines Lebens sind Herrn Graber noch sehr präsent. Nach der Lehre arbeitete er bei einer Zimmerei im Emmental. Gefragt, was er denn damals für einen Lohn verdient habe, antwortet er: «Zuerst hatte ich 80 Rappen in der Stunde. Später dann 1 Franken 40 Rappen. Damals hatte man nicht so Löhne wie heute.» In die Rekrutenschule musste er 1942, während 17 Wochen wurde er am Monte Generi zum Sappeur ausgebildet. «Wir waren Berufsmänner, Zimmermänner, Maurer oder auch Schreiner. Wir bauten Brücken.» Im Krieg musste er jedes Jahr 5 – 6 Wochen lang einen Mobilmachungskurs absolvieren. «Der General schaute, dass die Bauern zu Hause bleiben konnten. Sie mussten die Felder bewirtschaften. Im ganzen Krieg hat die Schweiz sich selber ernährt.» Einen Moment lang schweigt der kleine, dünne Mann, dann sagt er: «Als Frankreich von den Deutschen besetzt wurde, war die Schweiz umzingelt.» Nach dem Krieg gab es viele Arbeitslose. «Wenn man eine Arbeitsstelle wollte, und einem der Lohn nicht passte, wurde einem gesagt, dann kannst du wieder gehen.» In den ersten Jahren, als er auf seinem Beruf arbeitete, gab es noch keine Ferien. Am Samstagnachmittag und am Sonntag hatte man frei. «Damals ist man noch Velo gefahren, die hatten nur drei Übersetzungen. Wenn es bergauf ging, musste ich das Velo stossen.» Als es dann für alle Arbeiter obligatorische Ferien gab, machte der junge Mann, der vor Kraft strotzte, grosse Velotoren durch die Schweiz, bis nach Genf und St. Gallen. Zweimal machte er auch Ferien auf der Riederalp. Auf die Frage, ob er verheiratet gewesen sei, antwortet er: «Ich habe niemanden gefunden.» Aber das hat ihn nie bekümmert. Im Dienstbotenheim gefällt es ihm sehr gut. Am liebsten spaziert er durch die grosse Gärtnerei und die nebenan liegende Schule für auszubildende Gärtner und Gärtnerinnen. Im Winter macht er es sich auf dem Kanapee gemütlich. «Da geht man mal kurz raus, aber nicht lange.» Gerne sitzt er in seinem Zimmer und hört Volksmusik. «Am liebsten Jodellieder und solche Sachen. Aber nicht diesen Saukrach, das ist nichts für mich.»

Es ist elf Uhr geworden. Herr Graber verabschiedet sich und geht zum  Mittagessen. Danach wird es sehr still im Haus. Die meisten Bewohner machen einen Mittagsschlaf.

Waldarbeit für die «Rüstigen»

Um viertel nach eins geht es in den Wald. Vier Männer sitzen in ihren leuchtend grünen Arbeitsjacken auf dem Wagen, Meinrad Ackermann steuert den Traktor. Der Wagen rumpelt und rüttelt, das Dröhnen des Traktors durchbricht die Mittagsruhe. Zum Dienstbotenheim gehören elfeinhalb Hektaren Wald. Das ist ein sehr grosses Stück, das auch bewirtschaftet und gepflegt werden muss. Heute Nachmittag werden die Männer den Waldrand putzen und aufräumen. Als der Traktor mit dem Wagen im Wald zum Stehen kommt, steigen die Männer ab. Meinrad Ackermann fährt den Traktor in den Wald hinein. Der Wagen wird abgehängt. Auf dem Waldboden liegen überall Tannenäste. Vor zwei Tagen hat der Förster einige Bäume gefällt, damit der Wald mehr Licht bekommt. Sofort beginnen die Männer, die grossen Tannenäste aufzuheben und auf den Wagen zu werfen. Ein Teil der Äste wird für «Wedelen» verwendet, 50 Zentimeter lange, zusammengeschnürte Bündel, mit denen der Kachelofen geheizt werden kann. Die «Wedelen» werden verkauft. Die anderen Äste werden zu Schnitzeln verarbeitet, diese werden in der Beerenanlage auf den Boden gestreut.

Am Traktor befindet sich eine Seilwinde. Mit routiniertem Griff nimmt Herr Eggimann das Seil und zieht es zu einem Baum, der am Waldrand liegt. Geschickt legt er das Seil um den Baumstamm und befestigt es mit einem Karabinerhaken. Alle Waldarbeiter treten ein Stück zur Seite. Dann betätigt Meinrad Ackermann die Seilwinde. Der Baumstamm wird auf die Lichtung geschleift. Mit laufender Motorsäge steht Herr Eggimann bereit und beginnt, die Äste vom Stamm zu schneiden. Auch Meinrad Ackermann nimmt eine Motorsäge zur Hand und macht sich an die Arbeit. Als die Motorsägen verstummen, bücken sich die Waldarbeiter nach den Ästen, schleifen sie über den Waldboden und werfen sie auf den Wagen. Mit dem Traktor zieht Meinrad Ackermann die Baumstämme aus dem Wald, bis zum Wegrand. Dort bleiben die Stämme liegen, bis sie zu Feuerholz verarbeitet werden. Bald schon schwitzen die Männer, ziehen die Arbeitsjacken aus und hängen sie an einen Ast. Um viertel vor drei ist Feierabend. Im Dienstbotenheim wartet der Z`Vieri, Brot, Käse, Kaffee und Milch.

Behutsam Beeren pflücken

Endlich ist es Sommer geworden. Der Nachmittag liegt schwül über dem Dienstbotenheim. Es ist viertel nach eins. Mit einem Pflückkorb vor dem Bauch stehen Herr Gerber und Herr Rinderknecht bei den Himbeerstauden. Beerenpflücken ist eine Arbeit, die Geduld verlangt und die man nur langsam und behutsam machen kann, denn Beeren sind empfindliche Früchte. Dieses Jahr fällt die Ernte klein aus. Letztes Jahr konnten 600 Kilogramm Erdbeeren geerntet werden, dieses Jahr nur 100 Kilogramm. Zuviel Regen im Frühling und eine grosse Trockenperiode im Sommer haben den Beeren arg zugesetzt. Auch die Kirschen wollten nicht so recht gedeihen. Der Ernteausfall wegen Regen und Trockenheit beträgt bei den Kirschen 60 Prozent und die restlichen 40 Prozent, die herangereift sind, wurden fast alle von der Essigfliege zunichte gemacht.

Am Horizont brauen sich schwarze Wolken zusammen, ein Blitz leuchtet in der  Düsternis, ein ohrenbetäubender Donner grollt über das Land. Schwer und gross prasseln die ersten Tropfen auf die Himbeerblätter. Unbeirrt pflücken die Männer weiter. Plötzlich giesst es wie aus Kübeln und bevor sie ganz durchnässt sind, stellen sie sich unter den nahen Kirschbaum und warten ab.  Als der Regen nachlässt, beginnen sie wieder zu pflücken. Doch eine halbe Stunde später kommt der nächste Schauer. Ohne Eile, so wie es eben die schon älteren Beine erlauben, schreiten die Männer durch den Regen und stellen sich unter das Scheunendach. Für heute werden sie keine Beeren mehr pflücken. Auf den Bänken, die rund ums Haus aufgestellt sind, sitzen die Bewohner und Bewohnerinnen des Dienstbotenheims am Trockenen und schauen gelassen den herabfallenden Tropfen zu. Im Fernsehzimmer sitzen Herr Meier und Frau Tobler am Tisch und rüsten schweigend Fenchel. Manche Pensionärinnen und Pensionäre helfen in der Küche mit und bereiten das Abendessen zu. Auch in der Wäscherei ist ihre Hilfe gern gesehen und wird sehr geschätzt.

Zeit für ein Hobby haben

Herr Eggimann geht in den Keller. Dort ist seine Werkstatt, sein Arbeitsplatz mit der Drehbank. Er spannt ein Stück Eschenholz ein, lässt den Motor laufen und beginnt, ein Bein für einen Melkschemel zu drechseln. Er ist sichtlich stolz, als er den scharf geschliffenen Stechbeitel an das rotierende Holz hält und die Späne durch die Luft auf den Boden fliegen. Langsam nimmt das quadratische, 30 Zentimeter lange Holzstück eine runde Form an. Vor zwei Jahren hat sich Herr Eggimann das Drechseln selber beigebracht. Früher in seinem Leben hat er während 15 Jahren mit Frau und drei Kindern auf einer Alp gewirtschaftet, hat sich um die Rinder und Ziegen gekümmert und Käse gemacht. Später dann war er Mechaniker und Gleisbauer. Seine Frau ist vor einigen Jahren gestorben. Nun hat er mit dem Drechseln und der Arbeit auf dem Bauernhof des Dienstbotenheims eine neue Aufgabe gefunden.

In einer Ecke der Werkstatt hat sich Herr Tobler mit seiner Zinngiesserei eingerichtet. Aus dem wirren Haufen aus Werkzeug, Putzlappen und Arbeitsmaterial holt er die Figur eines wackeren Zinnsoldaten hervor. Die Freude, die ihm seine kleinen Figuren bereiten, leuchtet in seinen Augen.

Da und dort blüht noch eine Sonnenblume

Es ist wieder Oktober geworden. Schmuck und picobello gejätet liegt der Gemüsegarten unter dem bewölkten Himmel. Die letzten Tomaten sind geerntet und werden im Keller langsam rot. Noch hängen die grünen Peperoni an den Sträuchern und reifen mit der letzten Herbstsonne. Thymian, Oregano, Salbei, Pfefferminze, Boretsch und Fenchelkraut wurden vor einigen Wochen gepflückt und getrocknet. Die Küche verwendet die Kräuter zum Würzen und für Tee. Gross wie ein Fussball ist der Grünkohl. Der Lauch steht kniehoch.  Königskerzen bedecken mit ihren Blättern den Boden, die Sonnenblumen sind zwei Meter hoch, da und dort blüht noch eine. An den Verwelkten picken die Vögel die Körner heraus. Handgross sind die Randen. Rot leuchten die Blätter zwischen all dem Grün. Ein einzelner Rosenbusch setzt gelbe Tupfen mit seinen Blüten. Lila und rosa blühen die Dahlien. Von März bis Ende September hat Herr Schoch jeden Tag im Garten gearbeitet. Jetzt gibt es nicht mehr viel zu tun. Heute wird er nur den Kopfsalat für das Mittagessen abschneiden. In der Beerenanlage streut Herr Maurer Mist unter die Stauden. Kürzlich hat der 82-Jährige gesagt, er suche jetzt einen Nachfolger. Lange Jahre hat er sich um die Erdbeeren, die Stachel-, Heidel-, Johannis- und Himbeeren gekümmert. Hat die Stauden mit der Gartenschere ausgedünnt, die Zweige mit Bast an die Zäune gebunden, wochenlang geduldig Beeren gepflückt und im Herbst den Mist mit der Schubkarre hingefahren und Gabel für Gabel verstreut. 

Die Ernte ist eingebracht. Äpfel wurden vom Boden aufgelesen und im Keller eingelagert. Birnen wurden gepflückt, die Bewohnerinnen und Bewohner halfen beim Rüsten, dann wurden die Birnen mit Zucker gekocht und in sterilisierte Gläser abgefüllt. Blumenkohl, Fenchel und Bohnen wurden im kochenden Wasser erhitzt, in Plastiksäckchen abgefüllt und eingefroren. Aber auch für das Gemüse war dieses Jahr nicht gut, auch hier zu viel Regen, dann zu trocken.

Es ist vier Uhr. Herr Büetiger ruft seine Hühner herbei und schaut ihnen zu, wie sich eins nach dem anderen auf der Stange im Hühnerstall einen Platz sucht. Für die Schweine ist es Zeit für den täglichen Auslauf. Als Herr Raclet das Gatter zum Aussengehege öffnet, stürmen die Schweine hinaus. Mit der Pfeife im Mund geht Herr Eggimann zur Weide, öffnet den Zaun und die Kühe, Rinder und Kälber lassen sich willig in den Stall führen. Bald schon surrt die Melkmaschine. Das ist das letzte Geräusch, das von der steten und emsigen Arbeit im Dienstbotenheim erzählt.

Lanwirtschaftliche Grossfamilie

Das Dienstbotenheim Oeschberg ist ein Altersheim mit dem Charakter einer landwirtschaftlichen Grossfamilie. Angeboten wird das Wohnen mit Dienstleistungen. Die Betreuung der Bewohnerinnen und Bewohner entspricht dem Standard der Betreuung und Pflege zu Hause. Die Betriebsstruktur der Selbstversorgung ermöglicht es den Bewohnerinnen und Bewohnern, sich in verschiedenen Betriebszweigen zu betätigen und einzubringen. Folgende Beschäftigungsmöglichkeiten werden angeboten: das Abwaschen und Rüsten in der Küche, das Bügeln und Wäschefalten im Waschhaus, das Wischen und Jäten ums Haus, das Ernten von Gemüse, Beeren und Früchten, die Versorgung der Kühe, Schweine und Hühner, Mitarbeit in der Landwirtschaft, Waldarbeiten im Winter sowie Holzverarbeitung übers Jahr. In ihren Fähigkeiten und Fertigkeiten werden die Bewohner unterstützt.